Martin Schulz im Gespräch mit Hajo Schumacher

Im Gespräch mit Hajo Schumacher spricht der SPD-Abgeordnete Martin Schulz über seine Begegnungen mit dem designierten US-Präsidenten Joe Biden und den Hoffnungen, die die Europäer mit ihm verbinden.

Als wichtiger Vordenker Europas prägt er mit seinen Ansichten die Europapolitik seiner Partei und seine Begeisterung für Europa prägt seine politische Karriere.

Ursula von der Leyen ist ebenso Thema des Gespräches wie der SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz und die Arbeit der Bundesregierung während der Corona-Krise.

Martin Schulz spricht auch über seine Herkunft und seine Liebe zum Fußball – auch wenn es ihm seine Vereine Rhenania Würselen und der 1. FC Köln nicht immer leicht machen.

Hajo Schumacher: Ich sehe… doch…da ist ja Martin Schulz. Hallo, schön, dass Sie da sind.

Martin Schulz: Hallo.

Hajo Schumacher: Ich vermute aus dem heimischen Würselen.

Martin Schulz: Genau.

Hajo Schumacher: Ein Ort, der ja zu großer Bekanntheit gekommen ist Ihretwegen. Vorher kannten das wirklich nur Eingeweihte. Ja, lieber Zuschauerinnen und Zuschauer, als allererstes der Hinweis - Sie können jederzeit Ihre Fragen stellen über die Chat Funktion. Also, wenn Sie Martin Schulz - und ich meine, der Mann ist Schlacht erprobt, er hat 23 Jahre Europäisches Parlament hinter sich, er hat - was wahrscheinlich noch härter ist - mehrere Jahrzehnte deutscher Sozialdemokratie hinter sich, dann ist man, ich würde mal sagen, doch emailliert für so ziemlich jede Frage, die da kommen kann. Vielleicht, was man nicht ganz so weiß über die Biografie von Martin Schulz, er kommt aus einem, wie sagt man, kleinbürgerlichen Haushalt: Vater Polizist, Mutter Hausfrau, sehr katholisch, gehörte zu den Gründungsmitgliedern des CDU-Verbandes, CDU-Ortverbandes Würselen. Stimmt das Herr Schulz?

Martin Schulz: Ja, ja.

Hajo Schumacher: Das heißt, Sie haben sich mit Ihrer politischen Richtung so ein bisschen gegen Mutters Richtung entwickelt. Es gibt so unfassbar viele Themen, über die wir reden können. Das geht bei Corona los, das geht über Amerika weiter bis hin zur Sozialdemokratie. Herr Schulz, Sie sind ja als Europapolitiker viel rumgekommen, auch mit vielen Leuten in Kontakt gekommen. Der neue amerikanische Präsident Joe Biden, ist der Ihnen begegnet jemals?

Martin Schulz: Ja, ja. Ich bin Joe Biden mehrfach begegnet. Ich kannte ihn schon in seiner Zeit als Senator. Er war ja Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses des US-Senats. Und ich bin ihm in seiner Funktion als Vizepräsident begegnet, weil er der Verhandlungsführer der amerikanischen Seite bei den TTIP-Verhandlungen war, also dieses Freihandelsabkommen. Und ich habe als Präsident des Europäischen Parlaments für das Europa-Parlament die Verhandlungen geführt und das waren sehr intensive und auch sehr freundschaftliche Begegnungen.

Hajo Schumacher: Wie würden Sie den Mann charakterisieren? Ist das so einer zum „Komm Joe, wir gehen mal Bier trinken“ oder eher so ein bisschen, ich sage mal, steifer?

Martin Schulz: Ich sage mal von den amerikanischen Politikern, die mir begegnet sind, ist er eigentlich der europäischste. Er wäre auch so, von seiner politischen Haltung durchaus, was ja nicht immer in den USA vergleichbar ist, kompatibel zu einer europäischen sozialdemokratischen Partei. Ich glaube, in Deutschland wäre er ein moderates Mitglied der SPD und das ist schon für amerikanische Verhältnisse relativ links. Aber insgesamt ist der Mann fähig zum Kompromiss. Also, seine große Leistung, glaube ich, auch über die Jahrzehnte, die er im US-Senat verbracht hat, war, dass er dafür berühmt war und ist - Kompromisse schließen zu können, dabei verhandeln zu können. Ein sehr zugewandter, auf Integrationsfähigkeit ausgerichteter Mann.

Hajo Schumacher: Haben Sie seine Handynummer?

Martin Schulz: Ne, die habe ich nicht.

Hajo Schumacher: Ah, das wäre es jetzt. Sagen Sie, sind Sie auch Kamala Harris begegnet?

Martin Schulz: Nein, leider nicht. Ich habe Kamala Harris noch nie persönlich kennengelernt. Aber ich finde, ganz unabhängig… Das ist schade, finde ich, denn sie macht ja einen fantastischen Eindruck. Also, mich hat die Frau in den letzten Tagen, als ich sie so gesehen habe, nach der, sowohl bei der Entgegennahme dieses Wahlergebnisses - da beim Joggen, als auch später in ihrem weißen Anzug...

Hajo Schumacher: Joe, we did it.

Martin Schulz: Ja, bei ihrem Auftritt auf diesem Event, da in Wilmington war mein Eindruck, dass das eine sehr, sehr beeindruckende und, ich glaube auch, eine Frau ist, die die Zukunft nicht nur der USA, sondern weltweit beeinflussen wird.

Hajo Schumacher: Herr Schulz, wir teilen beide ein Schicksal - wir sind alte weiße Männer, die haben gerade nicht so einen Lauf international, seien wir ehrlich. Es gibt diese These, dass Frauen besser regieren, belegt an, zum Beispiel Corona-Zahlen, Infektionszahlen, ob das jetzt Neuseeland ist, skandinavische Länder, Deutschland unter anderem auch. Teilen Sie diese „Frauen sind die besseren Politiker“-These?

Martin Schulz: Nein, teile ich nicht. Ich glaube, wir haben einige Regierungschefinnen in der Welt, die sehr beeindruckende Arbeit leisten, das stimmt. Jacinda Ardern in Neuseeland zum Beispiel ist eine Frau, die außergewöhnlich beeindruckend ist. Wir haben auch in Europa neben Angela Merkel ja weitere Regierungschefinnen - junge Frauen in Finnland, in Dänemark, das ist schon sehr beeindruckend, aber dass Frauen jetzt a priori besser seien. Ich habe zum Beispiel, die Ministerpräsidentin Beata Szyd?o in Warschau kennengelernt. Da würde ich jetzt mal sagen, da unterscheidet die sich von den Ministerpräsidenten der Kaczynski Partei in keinster Weise. Nein, das halte ich für Vorurteil.

Hajo Schumacher: Herr Schulz, es gibt jetzt so einige Heilserwartungen. Das erinnert mich jedenfalls so ein bisschen an Obama. Also, jetzt kommt Joe Biden, alles wird wieder gut, das Internationale wird wieder alles repariert. Ich habe manchmal den Eindruck, wir projizieren ein bisschen viel auf den neuen amerikanischen Präsidenten. Auch so von wegen aus deutscher Sicht, dass er ja eigentlich nichts Besseres zu tun hat, als erstmal bei Angela Merkel anzurufen. Ich glaube Irland ist ihm, was Europa angeht, wahrscheinlich ein bisschen näher. Überfrachten wir diesen neuen Präsidenten auch mit unseren Erwartungen?

Martin Schulz: Das kann schon sein, dass die Erwartungshaltung extrem hoch ist. Doch, das haben Sie, glaube ich, sehr präzise beschrieben. Der Erwartungsdruck sowohl in den USA, als auch in den Partnerländern ist enorm. Dass der jetzt als erstes Angela Merkel anruft, das könnte durchaus sein, wenn er mit europäischen Partnern redet. Ich glaube, er wird Merkel und Macron zuerst anrufen, auch Boris Johnson, denn die Vereinigten Staaten von Amerika werden mit dem Präsidenten Biden eines tun: Sie werden die Vereinten Nationen wieder stärken. Deshalb glaube ich, dass die ersten Telefonate bei den permanenten veto-berechtigten Mitgliedern des Sicherheitsrates sein werden. Dazu gehören die Russische Föderation, China klar, aber eben auch die beiden europäischen Partner - Frankreich und Großbritannien. Deutschland, als die ökonomisch stärkste Macht in der EU, ist für die Handelspolitik von zentraler Bedeutung. Aber Joe Biden ist ein extrem erfahrener Politiker, der wird, das glaube ich schon so managen, dass er sich selbst nicht überfordern lässt und sich auch nicht überfrachten lässt. Nur über einen Punkt muss man sich im Klaren sein, dass jetzt von heute auf morgen, das haben Sie auch in Ihrer Frage eingebaut, alles anders würde – das ist falsch.

Hajo Schumacher: Boris Johnson haben Sie gerade schon erwähnt, der macht ja doch ein bisschen einsamen Eindruck jetzt auch mit seinem Brexit. Haben Sie irgendwelche Indizien dafür, dass das gesamte Brexit-Verfahren was ja gerade so ein bisschen vor sich hin stockt, sich jetzt durch Biden noch mal irgendwie in anderer Richtung entwickelt?

Martin Schulz: Das könnte sein. Könnte sein, dass eine amerikanische Regierung, also ich glaube nicht, dass das Brexit Ergebnis rückgängig gemacht wird, aber eine amerikanische Regierung, die strukturierte und auf Gegenseitigkeit beruhende Handelsbeziehungen zu Europäischen Union - der Binnenmarkt der EU ist der größte Binnenmarkt der Welt - unterhalten will, wird das ganz sichere Interesse daran haben, dass Großbritannien in diesen Prozess konstruktiv eingebunden wird. Und deshalb sehe ich durchaus mit der Wahl von Biden eine Chance, dass man Einflüsse anderer Art, als Trump die in London gemacht hat, in Großbritannien vortragen wird.

Hajo Schumacher: Lassen Sie uns von Ihrem Steckenpferd der Außenpolitik ein bisschen nach innen kommen. Haben Sie im letzten guten halben Jahr, irgendwie, irgendwelche Corona Erkrankung in Ihrem Umfeld gehabt?

Martin Schulz: Nein, Gott sei Dank nicht. Ich hatte immer wieder mal im Bekanntenkreis oder auch im Mitarbeiterkreis, MitarbeiterInnen, die irgendwie gewarnt wurden, entweder über die Corona App oder wo Bekannte in Quarantäne mussten, getestet werden mussten, aber - klopfen wir mal auf Holz - alle Tests waren bis dato negativ. Von daher bin ich bisher verschont geblieben.

Hajo Schumacher: Es gibt ja durchaus geteilte Meinung, was die Corona-Politik der Bundesregierung angeht, im Moment sind Gastronomie, Hotellerie sehr aufgebracht, weil sie sagen, erst machen wir hier teurere Hygiene-Konzepte und jetzt wird schon wieder alles dicht gemacht. Wir hatten am Wochenende in Leipzig eine Demonstration oder viele Demonstrationen, die dann doch etwas aus dem Ruder gelaufen sind. Haben Sie das Gefühl, die Bundesregierung mit ihrer Corona Politik übersteht diesen Winter so wie jetzt? Oder haben Sie Indizien, dass im Volk das Gemaule stärker wird?

Martin Schulz: Nein. Ich glaube, dass die Leute, die Impfgegner, die Corona-Gegner, diese Querdenker zwischenzeitlich massiv durchsetzt sind mit rechtextremistischen Gewaltbereiten. Oder, ich glaube, dass diese Querdenker mal nachdenken müssten, wenn sie schon querdenken, dass die in der Minderheit sind. Alles, was ich an Information sehen kann, zeigt, dass es eine wirklich überwältigende Mehrheit von Menschen gibt, die vernünftig sind. Die sagen „Das ist alles hart, aber die Corona Maßnahmen müssen jetzt sein“. Die Entscheidung wird fallen. Wir haben heute gesehen, am heutigen Tage sind die vom Robert Koch Institut bekannt gegebenen Zahlen, identisch mit denen der vergangenen Woche. Wenn sich dieser Trend in dieser Woche fortsetzt, dann können wir davon ausgehen, dass wir zumindest den Anstieg verlangsamen, vielleicht sogar gestoppt bekommen. Wenn das der Fall ist, dann haben die Maßnahmen gegriffen. Vielleicht nicht bis Ende November, möglicherweise wird man dann noch mal zwei Wochen dranhängen müssen, das weiß ich nicht. Aber ich würde mir wünschen, es ginge so schnell wie möglich. Ich habe volles Verständnis für die Gastronomie und die Hotellerie, auch für die Schausteller, für die Künstlerinnen und Künstler. Ich finde, da müssen wir wirklich auch sehr stellenscharf Hilfen leisten, damit die überleben. Denn von der Kneipenkultur bis zum Stadttheater das ist das Rückgrat unseres gemeinsamen öffentlichen Lebens. Und deshalb würde ich mir wirklich wünschen, dass wir da viel Geld in die Hand nehmen, um den Leuten zu helfen.

Hajo Schumacher: Kurze private Frage - wie bringen Sie den Lockdown über die Bühne? Sind Sie eigentlich noch unterwegs oder halten Sie sich relativ an die Kontaktbeschränkung und lesen jetzt einfach noch mal ein bisschen im August Bebel Gesamtwerk?

Martin Schulz: Nene, ich halte mich an die Hygiene Vorschriften sehr konsequent. Das mache ich auch in meinem Büro, hier im Wahlkreisbüro, und auch in Berlin. Privat, klar bin ich zurückgezogener. Wir machen keine Familienfeste. Wir sind fünf Geschwistern, große Familie, das fällt uns allen schwer, die Kontakte einzuschränken, aber das machen wir alle konsequent. Und ansonsten, ich bin als Abgeordneter natürlich während den Sitzungswochen in Berlin. Aber die Reisen zu anderen Veranstaltungen, die man sonst so unternimmt und ein Parteitag hier, eine Wahlveranstaltung dort, ein Forumsgespräch, ist ja fast alles sowie verlegt worden in die digitale Ära, in die digitale Sphäre und von daher bin ich eigentlich relativ eingeschränkt in meinen Kontakten.

Hajo Schumacher: Als Kommunalpolitiker, als Europapolitiker jetzt im Bundestag sind Sie ein Parlamentarier durch und durch. Das muss man immer mal auch Menschen erklären, die sich mit Politik nicht so auskennen. Das eine sind die „Regierer“ und das andere sind die Parlamentarier, die ja in Wirklichkeit - deswegen steht oben am Reichstag „Dem deutschen Volke“ - das letzte Wort haben. Es gibt jetzt durchaus ernsthaft, ich sage mal, Menschen die behaupten „Mann, Mann, Mann, der Deutsche Bundestag ist aber im letzten guten halben Jahr ganz schön außen vor geblieben“. Es war die Zeit der Exekutive. Sie durften da im Plenum gerne mal nicken, aber ich sage mal, die klassischen Verfahren sind dann doch etwas sehr beschleunigt worden. Macht Ihnen das Sorgen?

Martin Schulz: Nein. Ich glaube, das ist auch nicht so. Die Diskussion und Debatten im Deutschen Bundestag haben kontinuierlich, in jeder Sitzungswoche hat die Corona-Frage eine zentrale Rolle in allen Diskussionen gespielt. Es gab nichts, was die Bundesregierung gemacht hat, was sozusagen im stillen Kämmerlein abgelaufen wäre. Was man kritisieren muss, ist vielleicht Folgendes – der Eindruck, der im Volk entsteht, dass Frau Merkel gemeinsam mit den 16 Ministerpräsidenten das Land regiert, das kann ich nachvollziehen. Das liegt aber weniger an den Abgeordneten des Deutschen Bundestages als an den 16 Ministerpräsidenten. Einige von denen haben ja tatsächlich den Eindruck erweckt, als seien sie die Entscheidungsträger. Ich glaube, das ist eher ein Kommunikationsproblem gewesen. In der Substanz, Einschränkung der Grundrechte - da bin ich entschieden anderer Meinung als viele Kommentatoren. So sehr sind die Grundrechte nicht eingeschränkt worden. Also was ist eine Grundrechtseinschränkung? Die Einschränkung der Meinungsfreiheit, die Einschränkung des Postgeheimnisses, die Einschränkung der Freizügigkeit, war nur sehr, sehr reduziert, aber das ist natürlich eingeschränkt worden. Auch die Bitte zu Hause zu bleiben, ist noch keine Grundrechtseinschränkung. Schon eher ist vielleicht die Schließung einer Schule eine Grundrechtseinschränkung, weil Schüler einen Anspruch auf Beschulung haben. Aber selbst dort ist Home Schooling versucht worden. Also, ich finde das war manchmal übertrieben. In Notsituationen, in Krisensituationen muss man schnell reagieren können. Einen Punkt haben die Kritiker: Wir brauchen - das ist die erste Pandemie, jedenfalls in meinem Leben, ich weiß nicht, ob die anderen schon mal mit solchen Situationen konfrontiert waren. Das ist zum ersten Mal so, dass wir in einer solchen Lage sind, deshalb muss jetzt die Konsequenz gezogen werden, dass alles, was bisher auf dem Verordnungswege angeordnet worden ist, jetzt für zukünftige Fälle in ein Gesetz gekleidet wird. Und deshalb glaube ich, dass die Beratungen über zukünftige Infektionsschutzgesetze sehr sorgfältig ablaufen müssen und immer im Lichte der Erfahrungen, die wir jetzt in dieser Notlage gemacht haben.

Hajo Schumacher: Liebes Publikum hier nochmal der Hinweis, wenn sie Fragen, Bemerkungen, Erläuterungen an Martin Schulz, für Martin Schulz haben, immer her damit über die Chat Funktion. Ich leite Sie dann nach einer kurzen redaktionellen Bearbeitung weiter. Beleidigungen werden natürlich nicht entgegengenommen. Herr Schulz, Sie haben ja mit der Sozialdemokratie genug zu tun. Trotzdem, als Bürger des größten und natürlich wichtigsten und schönsten Bundeslandes Nordrhein-Westfalen haben Sie einen ganzen Stall voll, mehr oder weniger toller Kandidaten der anderen Partei. Wen hätte Ihre Mutter favorisiert, von den CDU-Kandidaten, die wir da gerade haben? Um Ihnen Frage abzunehmen.

Martin Schulz: Ja, ich glaube, meine Mutter hätte geschwankt zwischen Laschet und Röttgen. Merz hätte sie mit Sicherheit nicht gewählt. Meine Mutter war eher so eine Frau aus der christlich-sozialen Tendenz, die war ja eben in Nordrhein-Westfalen sehr stark. Karl Arnold, Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen, der jetzige Gesundheitsminister Laumann oder Norbert Blüm – die repräsentieren so ganz stark diesen christsozialen Flügel. Da kam meine Mutter her. Übrigens noch zu Ihrer biografischen Vorstellung ganz am Anfang. Meine Mutter war zwar eine Mitbegründerin der CDU, das stimmt, hier in Würselen, aber mein Vater war das elfte Kind eines saarländischen Bergmann, und die waren...

Hajo Schumacher: ...es ist schon klar, wo das hinführt.

Martin Schulz: So, und von daher war ich, ich bin das Kind eine Mischehe und insofern, mein Vater, der war also dann sehr nah bei der Sozialdemokratie. Das war immer spannend bei uns zuhause. Ich glaube meine Mutter hätte zwischen Röttgen und Laschet entschieden. Möglicherweise hätte sie sich als doch sehr heimatbewusste Frau aus der Region am Ende für Laschet entschieden. Zu den drei Kandidaten vielleicht noch eine Bemerkung, Armin Laschet hat das Ding sicher noch nicht in der Tasche. Denn, was viele Beobachter - da bin ich immer erstaunt - übersehen: Laschet ist der Vorsitzende des größten Landesverbandes und das ist eigentlich ja auch ein Vorzeichen, dass derjenige der den größten Landesverband hinter sich hat und führt, eigentlich die Entscheidung auch zu seinen Gunsten herbeiführen kann. Aber übersehen wird, dass beide Gegenkandidaten – Merz und Röttgen aus genau dem Landesverband kommen. Was also heißt, Armin Laschet hat diesen Landesverband mitnichten geschlossen hinter sich und das, glaube ich, ist auch sein größtes Problem.

Hajo Schumacher: Lassen Sie uns zu Ihrer Partei kommen. Diese sehr frühe Bekanntgabe des Kanzlerkandidaten Olaf Scholz, da sagen manche Strategen „ja, seid ihr denn wahnsinnig, bis zur Wahl ist er doch längst verbrannt oder erledigt“, und die anderen sagen „vielleicht gar nicht schlau, dann kann man den…“ – er ist jetzt nicht der super Charismatiker – „dann kann man den jetzt ein bisschen besser bekannt machen über die Zeit“. Welcher Theorie neigen Sie zu?

Martin Schulz: Ich war dafür, dass der früh benannt wird. Olaf Scholz ist Vizekanzler, ist der Finanzminister. Und ich wage mal die These, dass wir im Jahr 2021 weniger über Charismatiker, charismatische Politiker reden werden, sondern über die Bewältigung der Folgen der Corona Krise. Über Arbeitsplätze, über finanzielle Sicherheit, über die Hilfen für Unternehmen, über Investition in die Zukunft, über unser Gesundheitssystem und seine Stabilisierung. Und ich glaube, da ist jemand, der schon als Hamburger Bürgermeister, als Arbeitsminister, als langjähriger Abgeordneter gezeigt hat, dass seine Stärke in dem Satz „in der Ruhe liegt die Kraft“ besteht, dass er eine gute Chance hat, das Vertrauen der deutschen Bevölkerung zu bekommen. Da bin ich ganz sicher.

Hajo Schumacher: Zumal, das darf man nicht unterschätzen, einer seiner auch persönlich guten Bekanntschaften ist Hubertus Heil. Der als Arbeits- und Sozialminister natürlich genau, wie Sie sagen, die zentralen Themen des Jahres 2021 umsetzt. Also der eine sitzt auf der Kasse und der andere, sagen wir mal, kämpft gegen Arbeitslosigkeit, Kurzarbeit und sowas oder dafür vielmehr. Das ist natürlich eine gute Achse. Als Fußballer würde man sagen, vom Mittelfeld in den Sturm steht das schon ganz gut.

Martin Schulz: Glaube ich auch. Ich denke, wir sollten uns auch davor hüten, das ganze Kandidaturen, die Führerschaft von Ländern abhängig gemacht wird von kurzfristigen Popularitätseffekten. Da sind die Wählerinnen und Wähler am Ende viel rationaler als das vielleicht die eine oder andere Meinungsumfrage hergibt, oder der ein oder andere Kommentar. Jens Spahn ist zurzeit ganz ohne Zweifel ein hoch populärer Politiker. Ob das so bleibt, wenn die Corona Krise im Griff ist und der Gesundheitsminister nicht so stark im Fokus steht, das will ich mal sehen, da würde ich eher mal sagen, lässt auch diese Begeisterung für Spahn als Kanzlerkandidat wieder nach. Also die Stärke von Politikern, Joe Biden lässt grüßen, liegt in Langfristigkeit, in Geduld und in Beständigkeit. Denn genau diese Merkmale, dass einer dauerhaft, zuverlässig, nachhaltig, an bestimmten Themen arbeitet, ist die Grundlage für Vertrauen.

Hajo Schumacher: Noch eine polit-strategische Frage. Ich - also es ist meine persönliche Meinung - aber, haben Sie den Eindruck, als Ministerpräsident, egal welchen Bundeslandes, egal welcher politischen Farbe, es ist wahnsinnig schwer die Corona Krise am Ende zu einer Erfolgsstory zu machen. Am Ende verwaltet man ja einen großen Missstand und da kommt man vielleicht ein bisschen weniger schlecht aus. Aber können Sie sich vorstellen, dass einer wie Markus Söder jetzt als der strahlende Corona Kämpfer im Frühsommer dasteht?

Martin Schulz: Ne, da ist schon die Testpanne in Bayern, da hat er schon gezeigt...also ich finde, Markus Söder ist sicher ein respektabler Mann und gibt sich große Mühe, aber das Image, das er um sich herum zu verbreiten versucht, dass er der Krisenmanager par excellence ist. Also nicht Laptop und Lederhose, sondern Laptop und Testgerät, hat ja nicht funktioniert und insofern glaube ich, der kocht auch nur mit Wasser und das tut er vor allen Dingen südlich des Weißwurstäquators.

Hajo Schumacher: Ich bin Journalist, ich kann nicht gut rechnen, sonst hätte ich einen anständigen Beruf gelernt. Aber trotzdem, wenn ich mal so ein bisschen rumprognostiziere für die Bundestagswahl, dann kann ich mir im Moment jedenfalls eine SPD-Kanzlerschaft nur ausrechnen, wenn man mit Grünen und Linken zusammen mehr bekommt, als die anderen zwei oder drei, keine Ahnung was die FDP wieder anstellt in den nächsten Monaten. Aber eigentlich die Machtoption heißt auch rot-rot-grün, oder?

Martin Schulz: Naja, das wird man sehen. Das hängt von den Prozentzahlen ab, aber eine Bundesregierung geführt von Olaf Scholz mit Annalena Baerbock und Bodo Ramelow, ich glaube da braucht sich kein Mensch zu sorgen. Das wäre eine Regierung, die sehr seriös arbeitet.

Hajo Schumacher: Als Sie Kanzlerkandidat waren, war dieses rot-rot-grün-Thema noch, ich würde mal sagen, etwas toxischer, oder? Hat sich da was getan in den letzten vier Jahren?

Martin Schulz: Ja, glaube ich schon. Ich glaube, dass die in der Partei Die Linke, diejenigen, die also von einem Wolkenkuckucksheim zum anderen wandern, zwischenzeitlich deutlich in der Minderheit sind. Also wenn Sie sich nur die Bundestagsfraktionen der Partei anschauen. Wenn Sie sich zum Beispiel den Ministerpräsidenten Bodo Ramelow anschauen oder die Leute, die als Oberbürgermeister oder als Minister in Landesregierungen sitzen, das sind alle sehr seriöse Leute. Und deshalb glaube ich, dass diese Zeit der exaltierten Charaktere in der Partei Die Linke auch vorbei ist.

Hajo Schumacher: Also, war es für die Linke ein Gewinn, dass Sahra Wagenknecht sich ins Saarland zurückgezogen hat?

Martin Schulz: Ja, man muss ja auch sehen, ich glaube, dass die Politik Utopien braucht. Ohne Wagemut auch im langfristigen Denken kommt man in der Politik nicht weiter und man muss auch den Mut haben. Ich kriege ja permanent, praktisch täglich aufs Maul, weil ich nach wie vor der Meinung bin, dass das Ziel der Vereinigten Staaten von Europa, das ist 1925 zum ersten Mal in ein Wahlprogramm einer Partei hineingeschrieben worden, dass man das nicht aufgeben braucht. Das wird es nicht morgen geben und die Vereinigte Staaten Europa werden auch nicht die Vereinigten Staaten von Amerika auf europäischer Erde sein, auf europäischem Territorium. Man macht aus einem Deutschen keinen Texaner und aus einem Franzosen keinen Kalifornier. Das wird was ganz anderes sein und eine Vielfalt, ein intensiver Verbund von souveränen Staaten. Aber das Ziel weiter zu verfolgen ist ja richtig, nur man musste zugleich auch immer sagen, das ist eine Zukunftsbeschreibung und zum Status Quo, jetzt wären wir schon froh, wenn wir gemeinsam ein Hilfsprogramm der EU einstimmig auf den Weg gebracht bekämen. Wenn Sie sich aber in der Politik nur auf die Utopie konzentrieren und so tun, als wären alle, die nicht die Utopie teilen unmoralisch, dann verlieren sie die Glaubwürdigkeit. Und das genau ist ja, um Frau Wagenknecht rum und andere so bisschen abgelaufen und zwischenzeitig haben sich doch die Pragmatiker durchgesetzt.

Hajo Schumacher: Sie schaffen es immer wieder in die Außenpolitik zu entfliehen, Herr Schulz, lassen Sie uns gleich dabeibleiben. Frau von der Leyen war relativ überraschend zur Kommissionspräsidentin, erst vorgeschlagen, und dann auch ernannt worden. Macht sie einen guten Job?

Martin Schulz: Es ist zu früh das zu beurteilen. Zunächst mal hat sich ja auch die Konzentration auf das Krisen-Management der nationalen Regierungen verlagert. Insofern ist das schwierig zu beurteilen, ob nach etwas mehr als einem Jahr im Amt, Frau von Leyen schon einen guten Job macht. Sie ist bisher zumindest nicht negativ aufgefallen, weitgehend nicht negativ aufgefallen. Ich fand es schade, dass es Frau von der Leyen ist. Ich hätte mir gewünscht, dass Europaparlament wäre konsequent bei der Haltung geblieben – einer der beiden Spitzenkandidaten, also Manfred Weber oder Frans Timmermans, da hätte das Parlament, auch meine eigenen Leute im Parlament, über ihren Schatten springen müssen, das haben sie gemacht. Das Ergebnis ist Frau von der Leyen, jetzt wird man sehen, ob auf die fünfjährige Wahlperiode hin erfolgreich arbeiten kann. Auch das wird sie, glaube ich, ein bisschen beweisen beim Corona Management. Ich wünsche ihr wirklich viel, viel Erfolg und drück da auch die Daumen, es ist in unser aller Interesse, dass es der Kommission gelingt, eine ziemlich gerechte Verteilung des Impfstoffs in Europa zu erreichen.

Hajo Schumacher: Sie sind, das hört man aus jedem Satz, ein Europäer durch und durch. Jetzt müssen Sie sich in Berlin mit vielen kleinen Karos rumschlagen. Vermissen Sie Brüssel und Straßburg manchmal ein bisschen? Ehrlich, Herr Schulz.

Martin Schulz: Ne, eigentlich nicht. Ich habe so eine Haltung in meinem Leben und versuche, die auch konsequent einzuhalten - wenn ein Kapitel abgeschlossen ist, ist es abgeschlossen. Und es hat ja keinen Zweck so zu hinterher zu trauern. Das war eine wichtige Epoche in meinem Leben, wichtiger Abschnitt, aber ich gehe auch nicht ins Europaparlament, weil ich immer der Meinung bin, dass es kaum etwas Schlimmeres gibt als besserwisserische Amtsvorgänger. Insofern enthalte ich mich irgendeines Kommentars zur Politik meiner Amtsnachfolger, und das kann man umso leichter, wenn man nicht dahinfährt, wo die arbeiten und ich konzentriere mich auf Berlin. Nebenbei bemerkt - die Hauptstadt des größten und wirtschaftlich stärksten Mitgliedsstaates in der Europäischen Union, nämlich Berlin ist ein Ort, wo man sehr, sehr viel tun kann für die Weiterentwicklung der EU. Frau Merkel und ich haben die wesentlichen Teile der Europa-Kapitel, des Koalitionsvertrages gemeinsam miteinander verhandelt und ich lasse nicht locker bis zum Ende der Wahlperiode, dass große Teile davon auch umgesetzt werden.

Hajo Schumacher: So, wir haben die erste Frage im Chat. Ja, wir gehen wieder nach Berlin. Wenn Olaf Scholz Sie fragen würde, Herr Schulz, was er besser machen kann in diesem Bundestagswahlkampf als es so im Letzten so der Fall war. Was würden Sie ihm raten?

Martin Schulz: Folge deinem Instinkt, deiner Erfahrung und deiner Intuition und lass dich nicht kaputt beraten.

Hajo Schumacher: Ich höre da so ganz zart raus, dass Sie sich vielleicht nicht immer optimal beraten gefühlt haben seinerzeit.

Martin Schulz: Es hat ja keinen Zweck, dass man seine Fehler auf andere abschiebt. Ich kann nicht sagen, da sind die Berater schuld. Schuld ist derjenige, der die Entscheidungen trifft. Ich glaube, dass mein Fehler war, dass ich mich nicht so sehr auf meine Intuition – die Europapolitik zum zentralen Thema zu machen – konzentriert habe.

Hajo Schumacher: Mit der Macron übrigens im Wahlkampf gewonnen hat, muss man sagen.

Martin Schulz. Gab es eine Menge Berliner, die mir gesagt haben, lass bloß Finger von der Europapolitik, das interessiert keinen. Das hätte ich einfach ignorieren sollen. Aber das ist der Schnee von gestern, deshalb: Olaf Scholz sollte sich auf seine Erfahrung konzentrieren. Das wird er übrigens auch tun. Der Olaf Scholz ist ein sehr erfahrener, und übrigens auch was den Umgang mit Beratern angeht, sehr selbstbewusster Kandidat.

Hajo Schumacher: Da habe ich jetzt mal eine Journalistenfrage. Sie haben ja einem Spiegel-Kollegen, einem völlig untadeligen, tollen Journalisten Markus Feldenkirchen erlaubt, Sie im Wahlkampf über eine ganze Weile, über ich weiß nicht, mehrere Wochen zu begleiten. Das ist eine heikle Geschichte. Ich weiß, dass haben viel einige CEOs haben das schon gemacht. Ich glaube, der frühere Daimler-Chef zum Beispiel hat das doch für das SZ Magazin gemacht. Das ist natürlich schwierig, weil Sie geben, ob Sie wollen oder nicht, schon eine Menge über sich preis. War das eine gute Idee damals? Würden Sie Olaf Scholz empfehlen, komm nehmen wir den Feldenkirchen auch mal mit auf Wahlkampftour, oder den Schumacher?

Martin Schulz: (lacht) Ne, Empfehlungen dieser Art spreche ich nicht aus, denn das war eine Entscheidung, die ich selbst getroffen habe. Ich stehe dazu. Und zwar aus dem ganz einfachen Grund – die Entscheidungskriterien, die ich damals angelegt habe, haben sich ja für mich nicht verändert. Die Frage war, Menschen werfen der Politik immer vor, sie sei intransparent und man bekäme ja nicht mit, was hinter den verschlossenen Türen so in Wirklichkeit abläuft. Da habe ich damals gesagt, ne das möchte ich anders machen - die Leute sollen sehen wie es abläuft. So, jetzt haben die Leute es gesehenen, Herr Feldenkirchen hat das in seinem Buch veröffentlicht, da war ich erstaunt, dass ganz viele Bürgerinnen und Bürger gekommen sind und gesagt haben „Ich habe dich zwar nicht gewählt, aber wenn ich es vorher gewusst hätte, wie du bist, dann hätte ich dich vielleicht gewählt“. Das heißt also, dieser Eindruck, es gibt nichts zu verbergen, da stehe ich zu, dass es Leute gab, die mir hinterher vorgeworfen haben, das sei taktisch nicht klug gewesen, das zu machen, dem kann ich ja nur entgegen halten - das Buch ist ja nach der Wahl veröffentlicht worden, nicht vor der Wahl. Insofern, was habe ich nach der Wahl zu verheimlichen gehabt. Nein, ich stehe dazu. Ich fand das richtig.

Hajo Schumacher: Herr Schulz, Sie haben glaube ich, also wenn Sie nicht so eine wirklich garstige Meniskusverletzung gehabt hätten, hätte man Sie vielleicht auch in der Bundesliga oder der Nationalmannschaft gesehen. Ich glaube, Sie waren Linksverteidiger?

Martin Schulz: Ja.

Hajo Schumacher: Ich bin großer Freund von Jerome Boateng, der in seinen besten Jahren hat einfach eine unfassbar tolle...er hat zwar viel Innenverteidigung gespielt, aber ich finde es von Jogi Löw ausgesprochen leichtsinnig, einen so erfahrenen Mann einfach auszusortieren. Jetzt die Brücke zu Martin Schulz: Wie kann es sich die SPD erlauben, einen Mann wie Sie, ich sage mal, einfach so im Bundestag endzulagern, um vielleicht mit einem grünen Begriff zu kommen. Wenn ich mir den aktuellen Außenminister angucke, bei allem Respekt, aber ich könnte mir Sie da auch ganz gut vorstellen.

Martin Schulz: Ich versuche mal die drei Teile Ihrer Frage der Reihenfolge nach zu beantworten. Zunächst einmal, irgendwann habe ich mal einem Journalisten aus der Schweiz erzählt, dass ich gerne Fußballprofi geworden wäre. Das hat er dann geschrieben und daraus ist geworden „Schulz war auf dem Weg zum Fußballprofi“. Das stimmt gar nicht.

Hajo Schumacher: Lassen Sie das doch stehen Herr Schulz, eine tolle Geschichte.

Martin Schulz: So gut war ich gar nicht und ich wäre nie in der Nationalmannschaft gelandet. Aber der Traum, dass ich mal professioneller Fußballer hätte werden wollen, ich glaube, den träumen viele 17- bis 18-jährige.

Hajo Schumacher: Moment, ein Schulz-Zitat „Meine Bibel war der Kicker, mein Gott war Wolfgang Overath“. Das sollen Sie gesagt haben.

Martin Schulz: Das hat sich auch nicht geändert. Heute ist die Kicker-App zwar nicht meine Bibel, aber täglicher Konsum, und zweitens ist der 1. FC Köln nach wie vor ein Teil meiner Identität.

Hajo Schumacher: Da haben Sie es auch nicht leicht, aber mit Rhenania Würselen läuft auch nicht so, oder?

Martin Schulz. Ne, ne, ne, stoppen Sie mal. Rhenania Würselen war mal ein ganz führender Fußballklub.

Hajo Schumacher: War, war, Preußen Münster sage ich nur, das ist meiner.

Martin Schulz: Jupp Derwall war auch Rhenania Würselen.

Hajo Schumacher: So, zurück – warum sind Sie nicht Außenminister?

Martin Schulz: Zweiter Teil: Die Frage nach der SPD. Ich arbeite als Abgeordneter des deutschen Bundestages in der SPD-Bundestagsfraktion relativ intensiv mit. Ich bewerbe mich am 14. Dezember um den Vorsitz der Friedrich-Ebert-Stiftung, bin da auch im Vorstand nominiert worden. Das ist sicher eine ganz wichtige Aufgabe, der ich mich auch mit voller Kraft widmen werde und ich finde, dass unser Außenminister unter den Bedingungen, unter denen wir arbeiten müssen zurzeit, einen guten Job macht.

Hajo Schumacher: Okay, das ist pure Euphorie, die wir da gerade erleben.

Martin Schulz: Ne, ne, ne, Heiko Maas hat einen sehr, sehr schweren Stand. Die deutsche Ratspräsidentschaft der EU zum Beispiel unter den Corona Bedingungen zu führen und unter dieser Prämisse, dass Corona alles überlagert, das ist ja nicht die Schuld von Heiko Maas. Und deshalb glaube ich, dass der für diese Verhältnisse einen sehr, sehr guten Job macht.

Hajo Schumacher: Nochmal eine strategische Frage zum Schluss. Liebes Publikum, noch besteht schon fast die letzte Chance Martin Schulz direkt zu fragen. Es gibt für mich einen lang existierenden Konflikt innerhalb der deutschen Sozialdemokratie bezüglich, ich sage mal, des „Grün-Tons“. Viele Traditions-Sozialdemokraten betrachten die Partei ja eher als, ich sage mal Arbeiterpartei, auch als Industrie-nah. Ich meine, die ganze Mitbestimmung funktioniert ja in den großen Konzernen sehr viel besser als in den kleinen Unternehmen. Und dann gibt es natürlich immer wieder den Konflikt - wie grün soll der SPD eigentlich sein? Wie weit soll sie sich einem möglichen Koalitionspartner, auf jeden Fall einem Wettbewerber annähern? Oder aber wie viel Tradition und vielleicht nicht ganz so viel Grünes sollte sich im Wahlprogramm 2021 wiederfinden?

Martin Schulz: Es gibt überhaupt keinen Zweifel daran, dass der Klimawandel unsere Welt verändert und auch unser Alltagsleben verändert. Jede Partei, nicht nur die Grünen, alle Parteien müssen sich dem Thema, diesem Thema stellen und sich des Themas annehmen. Aber der Klimawandel ist nicht das einzige politische Thema. Die Sozialdemokratie muss sich eines immer vor Augen halten: Kernelement unserer Politik seit über 150 Jahren ist, dass diejenigen die den starken, schützenden Staat brauchen, diesen Staat auch bekommen. Und wir dafür zu sorgen haben, dass dieser Staat da ist. Jetzt mach ich das mal ganz praktisch. Die Arbeiter in der Automobilindustrie, die in Kurzarbeit geschickt werden, können sicher sein, dass mit einem Arbeitsminister Hubertus Heil, Sozialdemokrat, ihr Kurzarbeitergeld gesichert ist. Ich muss der SPD aber auch sagen, die Solo-Selbstständigen, die kleinen, mittleren Unternehmen, die wo die Unternehmerinnen und Unternehmer von der Selbstausbeutung überleben, die brauchen in dieser Zeit genau die gleiche Solidarität und Unterstützung, wie sie zum Beispiel Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in tarifgebundenen Arbeitsverhältnissen brauchen. Die Frage der sozialen Gerechtigkeit und des Schutzes durch den starken Staat betrifft eben heute nicht nur die Industriearbeiterschaft. Sie betrifft heute auch Gastronomen und deren Angestellte, sie betrifft auch Solo-Selbstständige. Der Pizzalieferant, der als Subunternehmer für Lieferando arbeiten muss, der braucht unseren Schutz genauso, wie der Schausteller, der jetzt nicht auf den Weihnachtsmarkt kann. Deshalb glaube ich, die Reduktion unserer öffentlichen Debatte auf den Klimawandel alleine reicht nicht. Die SPD hat ihre Kernkompetenz im Bereich des Schutzes derjenigen, die den Staat brauchen in Notsituationen. Ich glaube, wenn wir das in den Mittelpunkt unsere Wahlkampagne stellen, kriegen wir viel Vertrauen.

Hajo Schumacher: Lieber Herr Schulz, wir kommen zum Ende. Haben wir irgendein Thema vergessen, von dem Sie sagen „Mann, da schlummert was oder da schmort was, was mich bewegt, was mich freut, was mir Sorgen bereitet“ oder haben wir alles erledigt?

Martin Schulz: Da ich bin ja nicht dazugekommen den dritten Teil der Frage mit dem Jerome Boateng zu beantworten. Also, dass der arme Herr Löw jetzt mich auch noch zusätzlich als Bundestrainer-Berater braucht, das lassen wir mal beiseite. Aber eins will ich mal als Fußballfan sagen: Fußball in leeren Stadien finde ich echt traurig. Deshalb hoffe ich, dass nebenbei bemerkt, auch mit einem gewissen Grad an Genugtuung, das europäische Unternehmen, zum Beispiel Biontech in Mainz, daran beteiligt sind, ein deutsches Unternehmen, das wir vielleicht Corona…

Hajo Schumacher: Von einem türkischstämmigen Ehepaar geführt auch noch. Eine wunderbare Geschichte.

Martin Schulz. Finde ich auch fantastisch. Dass das türkischstämmige deutsche Forscher-Ehepaar mit einem Unternehmen, das in Mainz sitzt, einen Beitrag dazu leisten kann, in Kooperation mit Pfizer aus den USA, dass vielleicht bald wieder Fußballstadien voll sind. Das ist aber dann eine Perspektive, die uns allen Mut machen soll.

Hajo Schumacher: Besseres Schlusswort geht einfach nicht. Ganz herzlichen Dank, Martin Schulz. Ich hatte wirklich viel Freude auch an Ihren offenen Worten. Ich habe ja Ihre Laudatio, ne… haben Sie nicht die Laudatio auf Jean-Claude Juncker gehalten?

Martin Schulz: Ja, da waren Sie der Moderator.

Hajo Schumacher: Da war ich dabei und ich habe mir noch gedacht: Mann, dieser Schulz. Also ich bin wirklich, dass darf man als Moderator ja schlecht auf der Bühne machen, aber wie Sie aus dem Stand ohne Manuskript eine wirklich bewegende, also für einen Politiker wirklich extrem emotionale Laudatio gehalten haben, das hat mich persönlich, also ich sag es ganz ehrlich, das hätte ich von Ihnen nicht erwartet, das habe ich wirklich sensationell gut gefunden. Also dafür nochmal herzlichen Glückwunsch. Jean-Claude Juncker, dass nur zur Erklärung, lieber Roland Vestring, hat einen Preis gewonnen, ist für sein Lebenswerk gekürt worden. Martin Schulz hat die Laudatio gehalten und der Saal stand auf den Tischen und das lag nicht nur an Jean-Claude Juncker. Ich gebe zurück ins Studio, oder wie heißt das bei den Tagesthemen.

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